Wolfgang Ranft

work in progress

Fotografie

Die Fotografie ist das optisch Unbewusste. (Walter Benjamin. Kleine Geschichte der Fotografie, 1931)

Es ist nur richtig, der Fotografie zu misstrauen. Nie gelingt es mir, das zu fotografieren, was ich sehe. Und nie habe ich das gesehen, was ich dann als Fotografie vor mir habe.

Benjamin führt mit seinem Begriff des optisch Unbewussten aus, dass die Fotografie uns etwas zeigt, was wir so nicht sehen könnten. Er geht aus von einer Ebene des tatsächlich Sichtbaren, aus dem der Apparat mit einer Verschlusszeit, die nicht unserem menschlichen Sehen entspricht, einen Moment „einfriert“, was auch nicht unserem Sehen entspricht. Deshalb sehen die Menschen auf meinen Fotos auch immer so komisch aus, machen irgendwelche Grimassen, strecken ein Zünglein raus oder haben die Augen halb geschlossen… Ohne Fotoapparat hätte ich das gar nicht wahrnehmen können. Oder haben sie schon mal, wenn jemand Blinzelte, den Zustand des halb geschlossen Liedes sehen können? Jetzt also, durch den technischen Apparat, können wir dies in Sekundenbruchteilen festhalten und dann auf dem Bild sehen. Das ist das optisch Unbewusste, denn wir hätten es auch ohne Apparat sehen müssen, wissen es aber nicht. Ich würde in meiner Kritik der Fotografie aber noch weiter gehen, denn sie entspricht nicht meinem Sehen und auch nicht meiner Vorstellung des tatsächlich Sichtbaren. Auch nicht dem Sehen mit nur einem Auge. Was früher eine technische Umsetzung von Lichtwirkungen auf chemische Substanzen war, das sind heute Lichtwirkungen auf digitale Messgeräte. Diese wandeln die Signale um, und siehe da – ein Bild entsteht! Wird aus Millionen Daten konstruiert. Weit davon entfernt ein Abbild der Wirklichkeit zu sein, ist die Fotografie heute mehr denn je eine konstruierte Bildillusion unserer visuellen Eindrücke. In der technischen Perfektion dem Sehen, so weit es geht, nachempfunden. Doch Sehen funktioniert ganz anders als Fotografieren. Wenn es dunkler wird, dann schalte ich nicht meinen Blitz ein und erhöhe auch nicht die ISO Zahl meines imaginären Films. Ich öffne meine Linse, wenn der Vergleich erlaubt ist – und sehe trotzdem scharf. Und wie scharf! Eine Kamera ist kein Auge, mein Auge hat keinen rechteckigen Bildausschnitt. Wie also wäre die Fotografie zu beschreiben? Die Fotografie ist ein chemisches oder heute digitales Experiment, bei dem mit Hilfe eines technischen Apparates Lichtwellen eingefangen werden und die Messergebnisse dann so lange gedeutet werden, bis ein visuelles Ergebnis entsteht, das möglichst viele Faktoren wie Farbigkeit, Helligkeit, Schärfe, etc. in ähnlicher Intensität/Qualität wie das Sehen erzeugt. Das Ergebnis bleibt ein Fake, ein Nacheifern der Wirklichkeit, ein unbefriedigendes Bildrauschen. Das ich so auch noch nie gesehen habe.

Augenblick

Blick. Aus der Serie „tausend Blicke“. Selbstportrait 2005.

Spiegelungen

Was macht das Betrachten von Spieglungen so genussvoll? Welche Regeln der Ästhetik liegen dem zugrunde? Regen die gespiegelten Bilder das Gehirn in ähnlicher Weise an wie das Schreiben und Lesen von Spiegelschrift? Hat es mit der (Spiegel-)Symmetrie zu tun? Ist es gar Voyeurismus? Unbeobachtetes Beobachten? Spiegelung als „heimlicher Blick“?

Es ist wohl von allem etwas.

Mir gefällt an der Spiegelung, dass sie indirekt ist. Durch die abgelenkten Lichtstrahlen sehe ich etwas, was nicht in der Richtung steht, in die ich blicke. Ich sehe das Haus hinter mir vor mir. Außerdem ist das Bild spiegelverkehrt und somit irgendwie „nicht richtig“. Es wirkt ungewohnt und unwirklich. Wenn wir in den Spiegel schauen, sind wir uns dieser Tatsache meist nicht mehr bewusst. Am ehesten wird man der Seitenverkehrtheit gewahr, wenn man einen Schriftzug erblickt. Der Name auf die Stirn geschrieben hält es uns vor Augen.

Ein weiteres Spannungsmoment der Spiegelung in einer Scheibe ergibt sich aus der Überdeckung von zwei oder mehr Räumen.

Besonders bei Schaufenstern kommt diese doppelte Perspektive ins Spiel: man sieht ins Innere und gleichzeitig spiegelt die Scheibe den Außenraum. Dadurch, dass die Spiegelung nicht durchgehend ist, stiftet sie zusätzlich Verwirrung. An den Stellen in denen im Schaufenster helle Auslagen sind, ist sie kaum vorhanden, umso besser entsteht sie dafür an einer dunklen Stelle. Sie hat etwas Fragmentarisches und Schemenhaftes, das Auge springt an diesen Übergängen von außen nach innen und umgekehrt.

Es gibt Spiegelungen, die sind weit deutlicher als das hinter der Scheibe Liegende.

Der sich spiegelnde Außenraum mit seinen Menschen, Häusern und Straßen ist klarer, greifbarer und letztlich also realer – die Auslagen im Schaufenster und der Raum dahinter werden erst auf den zweiten Blick erkannt.

Das liegt zum einen an der Ausdehnung des Raums. Meist ist in den Spiegelungen eine weit größere räumliche Tiefe als im Blick durch die Scheibe zu finden. Zum anderen sind die Lichtverhältnisse meist so, dass der Außenraum, also die Spiegelung, durch das Sonnenlicht weit besser ausgeleuchtet ist als der Innenraum.

Anders verhält es sich in einem durch weite Landschaft fahrenden Zug. Der Blick auf die Landschaft gibt gleichzeitig den Innenraum frei, das Zugabteil wird Teil der Landschaft. Phantastisch, wenn dann die Landschaft der Gegenseite auch noch mitgespiegelt wird: Raum im Raum im Raum.

Die Überdeckungen halten noch weitere Entdeckungen bereit: Es kommen neue Verbindungen und Assoziationen zustande. Wie schön, wenn im Schaufenster steht: „Für Unterwegs“ und ein gespiegeltes Auto fährt gerade vorbei. Oder in den nackten Beinen einer Schaufensterpuppe spiegelt sich der Oberkörper eines Arbeiters. Die Spiegelung in der Scheibe verbindet wieder, was sie räumlich trennt – den Außenraum mit dem Innenraum. Der Marktplatz gehört zu dem Geschäft, in dessen Scheibe er sich spiegelt und umgekehrt.

Interessant ist auch, dass in der Spiegelung alles erkennbar bleibt, somit letztendlich „lesbar“ ist und doch verkehrt. Mehr noch, es kommt einem bekannt vor, aber man weiß im ersten Augenblick nicht, woher. Ich versuche mich zu erinnern und gelange in der Erinnerung weit zurück und in angrenzende Bereiche meines räumlichen Vorstellungsvermögens. Wenn ich das Schaufenster nicht erkenne, dann vielleicht das Haus gegenüber oder vielleicht den Baum und den Brunnen oder ist mir die Auslage im Schaufenster nicht doch bekannt? Ja, klar, aber wo stehe ich als Betrachter und was sind das eigentlich für Flecken auf der Scheibe? Nach dem „Aha-Effekt“ bin ich dann zurückgekehrt, an den Ort der primären Erinnerung und muss mich dennoch neu orientieren. Die Spiegelung wird mit dem ungespiegelten Bild verknüpft. Gleichzeitig wird sie als Realität in der Fotografie anerkannt und ab jetzt mit erinnert.

Die Spiegelung kommt der Lust, die Mitmenschen heimlich anzuschauen in geradezu glänzender Weise entgegen.

Wer hat nicht schon seine Mitfahrer im S-Bahnfenster gespiegelt beobachtet?

Oft passiert es mir unabsichtlich. Mein Auge kann die vorbeirauschende Landschaft nicht halten und sucht nach einem ruhenden Pol –  das ist die Spiegelung des Abteils im Fenster. In Augenhöhe bedeutet das meist, dass man mitten in das Spiegel-Gesicht des Gegenüber blickt.

Oder ein Geräusch hinter mir drängt sich mir auf und nur der Blick in die Spiegelung vor mir zeigt mir, wo das Geräusch herrührt. Fasziniert bleibe ich dann manchmal hängen, beobachte, bis es gefährlich wird entdeckt zu werden. Dann der Blick – zu spät – Auge in Auge im Spiegel. Ist der Schreck nicht zu groß, wende ich mich wie beiläufig ab oder stelle den Blick auf Fernsicht um…

Die Spiegelungen in Schaufenstern sind weit ungefährlicher, da sich die reflektierten Personen unbeobachtet wähnen und oft viel zu weit weg sind um „zurückzublicken“. Wer mir dennoch Beachtung schenkt denkt, dass meine Aufmerksamkeit dem Schaufenster gilt und wähnt sich in meinem Rücken ebenfalls als unbeobachteter Beobachter. Gerade wenn ich mit der Kamera vor einem Schaufenster stand ist mir das manchmal passiert. Die Aufmerksamkeit der Passanten wurde auf mein Tun gelenkt und sie wähnten sich unbemerkt, während ich sie beim mich Beobachten fotografierte.

waiblingen 3 008

Ladys only. 2005.

Spiegelung 6

Filet aus der Mitte. 2006.

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Posted in Fotografie by admin on Dezember 10th, 2009 at 21:21.

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